Flow-Erleben nach Mihály Csíkszentmihályi

Wie Du mehr Flow im Alltag erleben kannst

Manchmal kann es ganz schön hart sein, das eigene Geschäftsmodell weiterzuentwickeln oder eine neue Geschäftsidee auszuarbeiten. Es ist zäh, es stockt, es geht nicht voran. Und dann geht’s manchmal wie von selbst. Aber woran liegt das eigentlich? Tagesform? Eine “magische Zutat”? Wohl kaum. Hinter all dem steckt das sogenannte Flow-Erleben.

Das Flow-Erleben wurde in den 70er-Jahren vom Glücksforscher Mihály Csíkszentmihályi entdeckt. (Achtung “Angeberwissen”: Ausgesprochen wird der Name des 2021 verstorbenen Ungarn Mi-hai Tschik-Tzent-Mi-Hai.) Jeder von uns hat bereits Flow erlebt und weiß, wie positiv wir ihn erleben. “Ich bin gerade total im Flow!” ist nicht umsonst eine bekannte Redewendung. Aber während das Flow-Erlebnis beim Sport oder in der Freizeit häufig und leicht auftritt, passiert das im Alltag eines Solo-Selbstständigen oder Gründers ja eher selten.

In diesem Blogartikel möchte ich mit Dir gemeinsam dem Flow-Erlebnis ein wenig näher auf den Grund gehen. Denn tatsächlich gibt es einige Dinge, die Du selbst tun kannst, um häufiger und leichter in den Flow zu kommen. Aber dazu weiter unten mehr. Vorher möchte ich ein wenig ausführlicher darauf eingehen, wie wir Flow überhaupt erleben und wann er entsteht.

Wie erleben wir Flow?

Wenn wir im Flow sind, verlieren wir unser Gefühl für Raum und Zeit. Beides scheint miteinander zu verschmelzen oder gar nicht mehr zu existieren. Wenn wir ganz bei einer Sache sind, kann es passieren, dass wir irgendwann aufschauen und feststellen, dass es draußen bereits dunkel ist. Denn statt weniger Augenblicke sind bereits viele Stunden vergangen.

Im Flow sind wir uns “unseres Selbst nicht mehr bewusst”. Das Ich-Gefühl verschwindet und das, was wir gerade tun, scheint nur noch “durch uns hindurchzufließen”. Handeln und Bewusstsein verschmelzen miteinander. Das klingt jetzt vielleicht ein wenig esoterisch, ist aber ein wichtiges Element des Flow-Erlebnis. Csíkszentmihályi selbst hat das Flow-Erlebnis auch häufig mit dem Begriff Ekstase verglichen.

In der Neurobiologie geht man davon aus, dass das Flow-Erleben entsteht, weil die gesamte “Datenbandbreite” unseres Gehirns durch die hohe Konzentration auf eine einzige Tätigkeit vollkommen aufgebraucht wird. Flow kann also nur dann entstehen, wenn Du etwas tust, das ausreichend komplex ist und Du hochkonzentriert bei der Sache sein musst. Diese hohe Konzentration sorgt dann dafür, dass andere Informationen, Sinneseindrücke und Impulse nicht mehr bis in Dein Bewusstsein vordringen können.

Merkmale des Flow-Erlebens

  • Wir vergessen unsere eigene Existenz und verlieren uns vollkommen in einer Tätigkeit.
  • Handeln und Bewusstsein verschmelzen miteinander und die volle Konzentration gilt der Tätigkeit.
  • Dinge von außerhalb können nicht wahrgenommen werden.
  • Wir verlieren das Gefühl für Zeit und Raum.

TED-Talk von Mihály Csíkszentmihályi über das Flow-Erlebnis

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Wann entsteht das Flow-Erleben?

Wenn Du Dir die Punkte oben anschaust, dann kannst Du Dir bestimmt vorstellen, dass das Flow-Erleben ein ungemein produktiver und gleichzeitig glücklich machender Zustand ist. Allerdings ensteht es nicht “einfach so aus dem Nichts”, sondern hat ein paar Voraussetzungen. Zum Beispiel erzeugt nicht jede Tätigkeit, bei der Du Dich stark konzentrieren musst, auch automatisch ein Flow-Erlebnis.

Anforderungen & Fähigkeiten

Damit Flow entstehen kann, müssen Deine Fähigkeiten mit den Anforderungen der Aufgabe im Einklang sein.

  • Ist die Aufgabe zu leicht, erlebst Du maximal das Gefühl von Kontrolle. (Meistens aber wohl eher Langeweile und im schlimmsten Fall Apathie.)
  • Falls die Aufgabe für Dich jedoch zu schwer ist, entsteht Aufregung. Das äußert sich dann meistens in einer gewissen Art von “Hektik”. Schlimmstenfalls sorgt eine Überforderung sogar für Versagensängste.

Flow ist permanentes Lernen

Wenn Du es ganz genau betrachtest, ist das Flow-Erleben eigentlich nichts anderes als Lernen. Dadurch, dass Du Dich “ein wenig strecken musst”, um Flow zu erleben, zwingst Du Dich selbst dazu, besser zu werden. Wenn Du in etwas besser wirst, führt das aber wiederum dazu, dass Du irgendwann wieder aus dem Flow-Kanal herausfällst. Die Herausforderung ist dann nicht mehr groß genug für Dich und Du bewegst Dich in den Bereich der Kontrolle.

Weil wir Flow jedoch sehr positiv erleben, führt das unweigerlich dazu, dass wir uns von alleine neue Herausforderungen setzen.

Intrinsische Motivation

Natürlich sind passende Herausforderungen wichtig, um Flow zu erleben. Denn so erreichst Du das, was Dan Pink “Mastery” und Edward Deci “Kompetenz” nennen. Aber passende Herausforderungen sind eben auch nicht die einzige Bedingung, um Flow zu erleben. (Schon gar nicht im Alltag eines Gründers oder Solo-Selbstständigen.)

Doch damit Flow wirklich entsteht, musst Du noch drei weitere Aspekte berücksichtigen.

Einer davon ist intrinsische Motivation. Du musst eine Tätigkeit “um ihrer selbst willen” ausüben und nicht, weil Du damit “etwas anderes” erreichen möchtest. Es scheint, als würden extrinsische Motive zu sehr von der Tätigkeit selbst ablenken und damit das Flow-Erlebnis eher behindern. (Damit scheidet die Steuererklärung als Kandidat für das Flow-Erleben für die meisten von uns schon mal aus.)

Csíkszentmihályi bezeichnet intrinsisch motivierte Tätigkeiten auch als autotelisch: auto bedeutet “selbst” und telos “Ziel”. Autotelische Tätigkeiten sind ohne jeden Zweck oder Wert (oder diesen “coolen Purpose”). Und das im besten Sinne!

Flow kann immer dann entstehen, wenn Du eine Tätigkeit ausübst, die Dir einfach viel Spaß macht, auf die Du “Bock hast” und die Dich erfüllt.

Unmittelbares Feedback

Um Flow zu erleben, brauchst Du außerdem eine unmittelbare Rückmeldung durch die Tätigkeit. Wenn Du zum Beispiel Gitarre spielst, hörst Du unmittelbar am Klang eines gespielten Akkords, wie gelungen Deine Performance ist. (Das gilt sowohl für gelungene als auch misslungene Akkorde.)

Feedback erzeugt Klarheit darüber, wo Du stehst und was Du als Nächstes tun musst.

Gesellschafts- und Computerspiele sind wahre Meister darin, das Flow-Erleben zu fördern. Weil es ihnen gelingt, den Spielern ein klares Feedback darüber zu geben, wo sie gerade stehen. Wenn Du in einem Spiel einen Spielzug durchführst, erhältst Du sofort Feedback darüber, welchen Effekt dieser hatte.

Im Idealfall sollte Dir das Feedback auch eine positive Rückmeldung über Deinen Fortschritt geben. Dadurch wird sichtbar, was Du bereits gelernt hast, statt lediglich Deine aktuelle Leistung zu messen. Diese Art von Feedback nennt sich auch progressives Feedback. Durch den Blick in die Vergangenheit und das bisher Erreichte verändert sich auch Dein Blick in die Zukunft hin zu Lern- und Entwicklungszielen und damit weg von Leistungszielen.

Klare Ziele

Während Du etwas tust, muss das Ziel der Tätigkeit immer klar sein, damit Du Flow erlebst. Das betrifft sowohl das “übergreifende Ziel” als auch Deine einzelnen Teilziele oder Schritte.

Wenn Du als Bergsteiger einen Gipfel erklimmen willst, suchst Du Dir zuvor eine Route aus. Auf einer solchen Route gibt es dann verschiedene Stationen oder Lager, die Deine einzelnen Teilziele darstellen. Während des Bergsteigens selbst ist dann aber stets genau klar, was Du konkret tun musst, um Dein nächstes Ziel zu erreichen.

Klare Ziele sorgen für mehr Flow-Erleben
Klare Ziele sorgen für mehr Flow-Erleben.

Musst Du erst überlegen, wie Du an eine Sache herangehst, wird es schwierig, Flow zu erleben. Denn in diesem Fall bist Du mehr damit beschäftigt, Entscheidungen zu treffen, Vor- und Nachteile abzuwägen oder Überlegungen anzustellen, wie Du weiter vorgehen willst.

Das Flow-Erleben im Gründer-Alltag fördern

Damit Du auch im Alltag eines Gründers leichter in den Flow kommst (und dazu nicht auf hohe Berge klettern musst), solltest Du vor allem vier wichtige Dinge beachten:

  1. Finde die für Dich passenden Herausforderungen.
  2. Suche Dir Tätigkeiten, die Du liebst.
  3. Finde Wege, unmittelbares Feedback zu erhalten.
  4. Setze Dir klare Ziele bzw. nächste Schritte.

Finde die passenden Herausforderungen

Zunächst solltest Du Dir immer Aufgaben und Herausforderungen suchen, denen Du auch wirklich gewachsen bist. (Okay, ich geb’s zu: Das weiß man vorher nicht immer so ganz genau und “Probieren geht über Studieren”. Aber Du solltest schon ein gutes Gefühl haben, wenn Du Dich an eine neue Aufgabe machst.) Auf jeden Fall solltest Du Dich damit beschäftigen, was Deine Stärken sind und wie gut Du in bestimmten Bereichen bist.

Umgekehrt solltest Du Dir jedoch auch keine Aufgaben suchen, die zu einfach für Dich sind. Mag ja sein, dass es ganz entspannend ist, den 34. Blogartikel zum gleichen Thema zu schreiben, aber so wirklich herausfordernd ist das dann auch nicht.

Stretch Goals

Wenn Du Dir Ziele für Dich und Dein Unternehmen setzt, solltest Du deshalb immer versuchen, Dir sogenannte Stretch Goals zu setzen. Damit sind Ziele gemeint, die Du zwar durchaus erreichen kannst (wenn wirklich alles “läuft wie geschnitten Brot”), für die Du Dich jedoch ein klein wenig strecken musst.

Suche Dir Tätigkeiten, die Du liebst

Zweitens solltest Du Dir Tätigkeiten suchen, die Du wirklich liebst, um das Flow-Erleben zu fördern. Als Gründer hast Du hier natürlich gute Karten. Denn hoffentlich hast Du Dir eine Geschäftsidee überlegt, die Dich wirklich in Schwingung versetzt.

Falls Du Dir hier (noch) nicht ganz so sicher bist, kannst Du auf Tools wie den Golden Circle oder Ikigai zurückgreifen. Beide Methoden helfen Dir dabei, ein klares Verständnis von Dir selbst und Deiner Geschäftsidee zu entwickeln.

Der Golden Circle von Simon Sinek - Start with Why
Der Golden Circle von Simon Sinek – Start with Why

Hol Dir Feedback

Im günstigsten Fall erhältst Du immer ein unmittelbares Feedback, wenn Du etwas tust. Lange Wartezeiten, permanente Unterbrechungen usw. sind deshalb absolute “Flow-Killer”.

Deshalb solltest Du für alles, was Du besonders häufig tust, bestimmte Praktiken & Routinen entwickeln. Beides bietet Dir ein klares Raster, in dem Du Dich sicher bewegen kannst und das Dir immer Feedback darüber gibt, wo Du gerade stehst.

Auch Templates, Tools & Methoden sind sehr hilfreich, um in den Flow zu kommen. (Sofern sie gut designt sind.) Wenn Du zum Beispiel Dein Geschäftsmodell entwirfst oder überarbeitest, kannst Du dabei immer das Business Model Canvas verwenden. Wenn Du Deine Geschäftsidee verändern willst, kannst Du auf die SCAMPER-Methode aus dem Design Thinking zurückgreifen.

Natürlich musst Du die Methoden selbst bereits verinnerlicht haben, damit das Ganze funktioniert. Aber der Aufwand, Dir für immer wiederkehrende Aufgaben bestimmte Vorgehensweisen zurechtzulegen, lohnt sich auf jeden Fall!

Mehr Flow durch klare Ziele

Auch klare Ziele helfen Dir dabei, das Flow-Erleben zu fördern. Allerdings reichen die beliebten SMART-Ziele dazu nicht aus. (Meiner Meinung nach gehört die SMART-Formel sowieso in die “motivationale Mottenkiste”.) Eine hilfreichere (von mir entwickelte) Variante ist die RESONANT-Formel für Ziele.

Gerade dann, wenn es darum geht, intrinsische Motivation zu erzeugen oder Deine Ziele weder zu hoch noch zu niedrig anzusetzen, ist die RESONANT-Formel deutlich hilfreicher als SMART.

Fazit zum Flow-Erleben

Wie Du siehst, gibt es einige Dinge, die Du als Gründer und Solo-Selbständiger selbst beeinflussen und beachten kannst, um häufiger in den Flow zu kommen. Natürlich wird es Dir nicht immer und überall gelingen. Aber ich hoffe, dass ich Dir mit diesem Artikel einige Tipps mit an die Hand geben konnte, mit denen Du vor allem herausfinden kannst, warum bestimmte Dinge manchmal so zäh und zermürbend sind. Wenn Du herausfindest, woran das genau liegt, ist das im Grunde schon die halbe Miete, um entsprechende Gegenmaßnahmen einzuleiten.

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